Bory! gehst du nicht weg!

Ungarn - Anfang Mai

 

Es ist Freitag Nachmittag. Lena hat am Montag Geburtstag, ihr Geschenk kennt sie aber schon. Ich habe einen Reiterhof inkl. Pension ausfindig gemacht, dessen Besuch nur einen minimalen Umweg für uns bedeutet. Dort wollen wir 2 Nächte bleiben.

Bis dorthin sind es aber noch etwa 100 km. 

Das haben wir natürlich gewusst und erst für Samstag/Sonntag gebucht. Und um eben diese 100 km sinnvoll zu verteilen, sitzen wir jetzt in einem kleinen Park und schauen auf die Karte. Der Himmel wird immer dunkler und Blitze haben wir auch schon beobachtet. Wir hoffen aber das Beste und peilen noch etwa 25 km für heute an.  2 Minuten nach Abfahrt müssen wir dann schon wieder anhalten um die Regenmontur anzuziehen. Das tun wir unter einem Baum, der ein wenig Schutz gegen das Nass von oben bietet. Fertig angezogen warten wir noch kurz ab, in der Hoffnung, dass es gleich zumindest etwas weniger heftig schüttet.

 

Wir warten und wechseln erstmal den Baum. Dieser eine dort, vor dem Grundstück, der schützt bestimmt besser.

Tut er auch. Zumindest bis sich die Wolken dazu entschließen noch ein paar Schleusen mehr zu öffnen.

Ich versuche mich nicht mehr zu bewegen. Kopf leicht nach unten, dann kann das Wasser über den kleinen Schirm am Helm ablaufen. Arme hängen lassen, bloß nicht nach oben greifen, sonst fließt es an den Handgelenken rein.

 

So harre ich aus.

Lena beobachtet derweil wie ein älterer Herr aus seiner Garage schaut und dort herumläuft.

Sie winselt unhörbar für den Mann: "hier sind wir, bitte bemerk uns doch. Wir hätten gerne einen heißen Kakao"

Der Mann fährt das Auto, welches vor der Garage steht jetzt in selbige hinein. Das Tor bleibt offen.

Als der Baum jegliche Schutzfunktion verliert, gehen wir nachschauen, ob wir uns nicht zumindest unter das kleine Vordach besagter Garage stellen können.

Wir schauen herein. Nur das Auto ist zu sehen. Nagut, dann bleiben wir einfach mal hier.

"der sitzt noch im Auto!" flüstert Lena kurz bevor der Herr aussteigt.

Er trägt einen Hut,hat weiße Haare und Mühe sich zwischen Auto und Garagenwand hindurch zu drücken um mit uns zu sprechen.

Wir zeigen auf das kleine Dach und auf den Regen um klar zu machen, dass wir einfach nur ein Weilchen hier stehen wollen.

"Sprechen Sie deutsch?" hören wir ihn fragen.

"Oh, ja... ist es ok, wenn wir eine Weile hier stehen?" fragt Lena.

Natürlich ist es ok. Der Mann erzählt, dass er 30 Jahre in Deutschland gearbeitet hat. Wir fragen ihn wo und was, etc.

 

Er schweift ab und erzählt von seiner Tochter und diesem blöden Jungen, der nicht gut für sie gewesen sei und wie die Familiengeschichte ihren Lauf nahm. Während wir uns das alles ungefragt anhören, versucht sich immer wieder ein, sagen wir mal mittelgroßer Hund mit, nennen wir sie mal, Glubschaugen zwischen Hinterrad des Autos und Unterschenkel des Erzählers hindurch zu zwängen.

 

"Bory! Nein!".

Bory versucht es trotzdem weiter und er erinnert mich nicht nur wegen des Namens an einen der Hunde meiner Großeltern. Der hieß Bobby und hatte auch so niedliche Glubschaugen. Diesen hier finde ich auch niedlich.

Nach einer Weile werden wir gefragt ob wir reinkommen wollen.

 

Mal wieder schaue ich Lena genauso fragend an, wie sie mich. Aber klar, wir sagen ja und ich ergänze, dass wir so eine halbe Stunde bleiben können, weil wir noch weiter fahren müssen. Zu diesem Zeitpunkt würde sich das ja auch noch anbieten um die Regenzeit auszusitzen.

Doch schon als wir losgehen um unsere Fahrräder zu holen und sie in den Hof schieben, sage ich zu Lena, dass ich es schon kommen sehe und wir heute hier schlafen.

 

Wir gehen ins Haus und Georg, so hat er sich vorgestellt, ruft seine Frau Susanne herbei. Wir stehen in der Küche und Susanne kommt um die Ecke aus dem Wohnzimmer. Sie schaut uns beinahe erschrocken an. Ihr Mund steht offen und sie versteht wohl grad die Welt nicht mehr. Wer steht da in ihrer Küche?

Georg sagt irgendwas auf ungarisch zu ihr. Darin kann man Hamburg hören. Es kann aber nicht gereicht haben um ihr die ganze Situation von eben geschildert zu haben. Es klingt eher nach: "Ich hab hier zwei nette Leute aus Hamburg."

Sie scheint aber zufrieden damit zu sein.

Bory hat sich längst zu uns gesellen dürfen und es dauert nicht lange bis wir  Kaffee getrunken, Spaghetti Bolognese gegessen haben und ein Bier vor uns steht.

"Stefan! Kommst du rauchen?"

 

Susanne raucht eine Schachtel Dunhill am Tag, ihr Mann hasst es. Ich hatte im Vorfeld, als Georg auch davon erzählt hat, gesagt, dass ich auch hin und wieder rauche. Das hat sich Susanne wohl gemerkt.

Als wir gefragt werden, wo es denn heute noch hingeht und wir sagen, dass wir unser Zelt wohl irgendwo hinstellen werden, heißt es nur: "Hier schlafen?"

Das Haus ist groß und Bory ist niedlich. Wir sagen ja und bekommen unser eigenes Zimmer.

 

Wir sitzen noch ein wenig zusammen am Küchentisch und haben hin und wieder Probleme etwas zu sagen. Worüber redet man in solchen Momenten? Zum Glück erzählt Georg beinahe durchgängig etwas. Wir lauschen gespannt und stellen auch ein paar Fragen.

Immer wieder sagt er "Hörrma". Er leitet häufig Sätze damit ein. Es soll wohl "hör mal" heißen und klingt für unsere Ohren auf jeden Fall nach Köln. "Hörrma, ….dies", "Hörrma, …jenes".

 

Schon witzig wenn sich Leute anderer Länder solche Dialekte aneignen. "Hörrma - das is ja interessant"

Georg war schon viel unterwegs und redet irgendwann von einer Bekannten aus Schweden. Der fast 80-jährige nimmt sein iPhone in die Hand und will diese via Skype anrufen. Das klappt erst mal nicht, weil der Login nicht mehr bekannt ist. Lena versucht zu helfen und über die Passwort vergessen Funktion ein neues Kennwort via Email schicken zu lassen. Das gestaltet sich schwierig. Unser Gastgeber versteht von diesem Vorgang etwa so viel wie Lena die ungarischen Anweisungen lesen kann.

 

Abhilfe schafft ein Zettel, der dann doch noch gefunden wird und auf welchem auch der Zugang notiert ist.

Jetzt telefonieren wir mit Schweden.

Doch halt! Es fehlt das Videosignal! Jetzt wird Skype auf dem Laptop gestartet. Kurzer Zeit später sehen wir, dass es in Schweden um 21 Uhr noch hell ist. Das etwa genauso alte skandinavische Gegenüber scheint im Bett zu liegen, und sie hat ebenfalls ein Smartphone über das Sie mit uns kommuniziert.

 

Beachtlich finden wir. Nur wenige in diesem Alter nutzen diese Technik so selbstverständlich - zumindest in Deutschland. Lena versucht hin und wieder ihre Schwedischkenntnisse einzuwerfen, was von Georg aber meist übertönt wird.

 

Bory ist von alledem recht unbeeindruckt. Der etwas überernährte Knuffel liegt mal hier, mal dort und lässt sich streicheln. Später zeigt uns Georg auch noch Borys Kunststücke. Er kann mit Herrchen tanzen und Leckerliea in der Luft fangen.

Während wir da so sitzen, gehe ich ein paar mal mit Susanne zum rauchen auf die Terrasse. Auch das ist seltsam, weil es an Themen mangelt. Manchmal sitzen wir da nur wie zwei alte Kumpels, denen es genügt an der Kippe zu ziehen und sich anzuschweigen.

 

Halb sieben möchten wir aufstehen sagen wir und Susanne weist Juri - so nennt sie ihn nämlich - noch mehrmals darauf hin, dass dann Frühstück ist.

Am nächsten Morgen klopft es 6:32 Uhr an der Zimmertür

"Aufstehen! Frühstück!"

Susanne nimmt es genau mit der Zeit.

Das Frühstück ist reichhaltig und mit den Worten "Essen, Essen" nötigt uns die Wirtin eine Menge Nahrung herein. Aber gut frühstücken hat ja noch keinem Radler geschadet.

 

Wir packen, machen noch ein Selfie mit den beiden und schieben die Räder über den kleinen Hof zum Tor. Bory und Georg begleiten uns, Susanne bleibt rauchend auf der Terrasse.

Georg öffnet das Tor, Bory rennt als erster hinaus.

"Bory! Gehst du nicht weg" ruft ihm sein Herrchen hinterher. Bory sieht zu diesem Zeitpunkt aber nicht danach aus als hätte er das auch vorgehabt. Er schwänzelt wie zum Abschied noch um uns herum und geht nicht weg.

Wir bedanken uns nochmal für die Gastfreundschaft und radeln los.

Seltsam, spannend, überraschend,... keine Ahnung. Auf jeden Fall nicht hungrig. 

 

Stefan

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Kommentare: 2
  • #1

    Gaby (Sonntag, 14 Mai 2017 21:13)

    Ich verfolge eure Route täglich und freue mich immer sehr, wenn ein neuer Reisebericht auf eurem Blog zu finden ist. Und ja der Hund hat Ähnlichkeit mit Bobby. Mich versetzt es jedesmal wieder in Erstaunen, wie offen , gastfreundlich und ohne Misstrauen Menschen heutzutage noch sein können.
    L G Gaby

  • #2

    Carsten (Mittwoch, 17 Mai 2017 01:15)

    Hallo Lena, Hallo Stefan,
    Ich staune immer wieder über Eure Hammer-Tour, schaue immer mal wieder drauf, was der Reisefortschritt so macht ... und drücke Euch natürlich vor allem ganz fett die Daumen, dass alles gut läuft (Wetter, keine technischen Defekte, nix Krankheit oder Unfälle etc.) Gruß Carsten