Medienpsychologe gesucht

China - Dezember 2017

Ein langer Artikel ohne Fotos. Wer durchhält bekommt ein Fleißbienchen.

 

Neulich habe ich eine Email bekommen. Diese wurde automatisch verschickt, da ein anderes Radreise-Pärchen einen neuen Artikel auf deren Internetseite veröffentlicht hat. 

 

Der Beitrag bzw. meine Reaktion auf diesen hat mich nachdenken lassen. 

 

Hier noch kurz eine Erläuterung für Leser, die nicht so aktiv im Internet sind:

Facebook, Youtube und Instagram sind Plattformen im Internet auf denen man Texte, Fotos und Videos veröffentlichen kann. Die Nutzer dieser Plattformen können die dort veröffentlichten Inhalte anderer Nutzer abonnieren und Sie werden dann benachrichtigt, wenn es etwas neues zu lesen oder zu sehen gibt. Diese Leute nennt man dann Follower. Auf deutsch Anhänger oder eben einfach Abonnenten. 

Man kann mit diesen Plattformen und den eigenen Inhalten auch Geld verdienen, das funktioniert dann hauptsächlich über Werbe-Einblendungen. Eine der Voraussetzungen dafür sind viele, viele dieser Follower. 10 000 Follower zu haben beispielsweise ist schon ganz gut. Wirklich erfolgreiche Nutzer haben aber eher hundert tausende. 

 

Nun stand in der besagten Email, dass sich die beiden bei ihren mittlerweile über 10 000 Followern bedanken wollen. 

Zehntausend? Wie bitte? Ich konnte das nicht glauben und habe nachgeschaut. 

Aha! Die haben ihre Follower von Facebook, Instagram und Youtube zusammengerechnet und kommen damit auf über 10 000. Zusammengerechnet oder nicht, trotzdem schon eine beachtliche Menge. Bei Instagram beispielsweise über 4000. Das ist zehnmal soviel, wie wir haben. Was machen die besser als wir? Soviel toller sind die doch garnicht! Es hat mich gefuchst. 

Was die können, kann ich schon lange, dachte ich mir.

Theoretisch weiß ich, wie man stetig neue Follower bekommt und ich hatte mir schon einen Plan zurecht gelegt. Also morgen veröffentliche ich dieses hier, dann das bei Facebook, dieses hier bei instagram, ein neues Video bei Youtube muss auch noch sein...etc.

Stop, dachte ich mir. Was ist los mit dir? So viel Aufwand für Follower? Hast du nichts anderes zu tun? 

Was will ich mit diesen Abonnenten? Irgendwann mal damit Geld verdienen? 

Während ich mit Lena darüber spreche wird mir aber schnell eines klar: Die wenigsten Reiseradler, die diese Medien benutzen und damit sogar etwas Geld verdienen, können davon leben. Und die, die es können sind quasi ständig auf Tour. Außerdem haben sie einen recht hohen Druck Inhalte zu liefern um ihre "Kunden" bei der Stange zu halten. Ich will nicht Mein ganzes Leben auf Tour sein und Fotos, Texte etc liefern zu MÜSSEN klingt auch nicht so toll. Unsere eine Reise ist schlicht zu langweilig um damit dauerhaft Profit machen zu können.

Also wirklich sinnvoll Geld verdienen kann ich schon mal nicht. Trotzdem will ich mehr Follower. Warum weiß ich nicht und ich denke nach. Ich versuche Vergleiche zu finden, Dinge aus dem echten Leben. 

Ich komme zu der Erkenntnis, dass das ganze ja irgendwie mit einer Sammlung vergleichbar ist. 

"Guten Tag, ich heiße Lena und sammle Münzen." 

"Hallo, ich heiße Stefan und ich sammle Follower" 

Was klingt seltsamer? 

Münzen und Follower sammeln hat viel gemeinsam. Beides ist bzw. kann aufwändig sein. Man muss Münzen auf Flohmärkten und Münzbörsen suchen. Man muss recherchieren welche wertvoll sind, wo man sie findet und wie man sie aufbewahrt etc. 

Geld verdienen kann man auch damit. Aber seine Sammlung soweit auszubauen, dass man schließlich irgendwann damit handeln kann, das schaffen auch nur wenige verglichen mit denen, die das nur hobbymäßig betreiben. 

Also Follower oder Münzen sammeln. Beides sehr ähnlich. Es ist aufwändig und eigentlich hat es keinen Nutzen. Follower sind nur eine Zahl, Münzen stehen nur im Regal. Und so verhält es sich mit vielen Hobbys. Der Fallschirmspringer verdient auch kein Geld und fährt trotzdem raus zum Flugplatz. Der Fußballer spielt auch im Verein, obwohl er nie Profi werden wird. Der Hobbyfotograf sammelt inzwischen auch nur noch Dateien  auf seiner Festplatte. Die Frage nach dem Sinn oder warum kann man da einfach nicht stellen. Es macht halt Freude, ein warum kann da niemand beantworten. 

Alles klar, ich bin also nicht bescheuert. Mein Hobby ist halt einfach Follower sammeln. 

Naja, Moment mal, denke ich. 

Im, nennen wir es mal "normalen", Leben sind Hobbys ja etwas, was man in seiner Freizeit macht. Man tut es um sich selbst was Gutes zu tun und etwas zu machen, was einem gefällt. 

Nun radeln wir aber grad quer durch die Welt, wir haben gerade ein Jahr lang Freizeit und diese Reise ist doch genau das, was mir Spaß macht! Wozu brauchst du ein Hobby? Ist dir langweilig? 

 

Ich stelle mich selbst zur Rede und kann nicht antworten. Ist schon soviel Alltag eingekehrt, dass ich ein Hobby brauche? 

Nein, denn das ganze ging ja quasi schon vor Reiseantritt los, sonst hätte ich ja kein Instagram Profil oder Facebook Seite für unsere Reise angelegt. 

 

Also was ist los? Bin ich einer Medien-Maschinerie zum Opfer gefallen, die von meinen Inhalten profitiert und meine einzige Entlohnung ist eine Zahl? Und ich steuere kostenfrei noch mehr Inhalte bei um diese Zahl zu erhöhen? 

 

Eines ist klar. Wir hätten diese Reise auch angetreten, wenn es kein Facebook und co. gäbe. Auch wenn es überhaupt keine Möglichkeit gäbe die Momente festzuhalten und zu beschreiben und nur wir zwei wüssten was passiert ist. 

Früher hat man sich gefreut, wenn der Reisepartner an den Farbfiom gedacht hat, heute freue ich mich über Follower. Ich kann nichts dagegen tun. Ich freue mich über unsere Abonnenten und freue mich noch mehr, wenn ich bzw. unsere Inhalte mehr haben als die anderer Radler. 

 

Und jetzt versuche ich mal ganz ehrlich zu mir selbst zu sein und klare Worte zu finden.

Was sagt denn diese Zahl eigentlich aus und warum willst du eine höhere Zahl als die anderen? 

Die Zahl steht für Anerkennung. Jemand drückt auf "Folgen" oder "Abonnieren" wenn ihm deine Fotos, Videos oder Geschichten gefallen. Das ist Anerkennung. 

Mehr als die anderen haben wollen ist schlicht Neid bzw Konkurrenz-Denken. 

 

So. Ich bin also ein kleines Kind, dass Anerkennung sucht und neidisch auf die Schippe des anderen Kindes im Sandkasten guckt. 

 

Warum will ich mehr dieser Anerkennung? Wir wissen, dass viele Leute stolz auf uns sind und viele Leuten haben uns gesagt, wie irre sie unser Vorhaben finden. Anerkennung gibt es also eigentlich mehr als wir vielleicht verdient haben. 

Will ich jetzt noch mehr Anerkennung ernten? Ist diese Reise nicht schon genug? 

 

Ich muss an ein Buch von Simone Moro denken. Dieser Herr ist ein italienischer Bergsteiger und ihm war das Begehen der 8000er unter normalen Umständen zu langweilig geworden. Er klettert da jetzt lieber im Winter hoch. In meinen Augen ein unfassbar verrückter Mann, der sicherlich auch sehr, sehr viel Anerkennung für seine Leistungen geerntet hat. Nun ist auch dieser Herr mit seinem extremen Tun nicht allein. So schreibt er in seinem Buch, wie ein anderer Alpinist auf seiner Internetseite die erste erfolgreiche Begehung des Berges XY im Winter verkündet. Daraufhin kommentiert der Italiener auf dieser Internetseite öffentlich, dass ja die Winterzeit nur bis Ende Februar ginge, diese Begehung jedoch Anfang März stattfand (der Unterschied war weniger als eine Woche) und damit keine echte Winterbegehung sei. 

 

Ich mag das falsch auslegen, aber irgendwie versucht er damit doch auch, sich gegenüber jenem anderen Bergsteiger besser zu machen. Warum tut er das? Um noch mehr Anerkennung zu bekommen? Ein Mann der im Winter die höchsten Berge der Welt bezwingt hat das Bedürfnis seine Leistungen in noch besseres Licht zu rücken. Irgendwie nicht nachvollziehbar. Warum freut er sich nicht einfach für den anderen?

Genauso ging es mir bei dem "Danke an unsere zehntausend Follower" 

 

Vielleicht gibt es irgendeine Gehirnwindung, die für so ein Verhalten sorgt und aus evolutionstechnischer Sicht irgendwann mal total viel Sinn gemacht hat. 

"Hey Weibchen! Sieh her. Ich kann diesen riesigen, gefährlichen Säbelzahntiger mit nur einer Hand besiegen. Nicht wie der Verlierer da hinten, der beide Hände benutzen muss" 

Vielleicht sind auch nur Männer so, weiß ich nicht. 

 

Bin ich also nur ein zurückgebliebener Halbaffe auf dem Rad? Traurige Vorstellung. 

 

Über diesen Gedanken bin ich noch nicht hinaus gekommen. Wenn mir mehr dazu einfällt schreibe ich wieder. 

Bis dahin sammle ich weiter Follower. 

 

ugga, ugga, Keule, Feuer, ugga, ugga

 

Stefan 

 

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Kommentare: 5
  • #1

    Rico (Sonntag, 14 Januar 2018 21:17)

    Mhm...ist es da ja jetzt gut oder schlecht das ich euch förmlich zu Instagram gedrängelt habe?

    Naja Follower bringt es schon einmal und Jäger und Sammler gibt es auch in der Neuzeit.

  • #2

    Steffen (Sonntag, 14 Januar 2018 22:37)

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  • #3

    Viola (Montag, 15 Januar 2018 18:33)

    Danke, Stefan, ich hatte viel Spass beim Lesen!
    Hier noch ein paar Anregungen geben, das Thema vielleicht noch tiefer zu ergründen:
    Evolutionsbiologisch sichert einem Herdentier die Anerkennung der Gruppe das blanke Überleben. Und Säugetiere einschließlich des Menschen sterben ohne Zuwendung (kennst du die grausamen Hospitalismus-Experimente aus der Nazizeit?)
    Das lässt sich wunderbar auf die SocialMedia im Paralleluniversum Internet übertragen. Ohne Follower keine Überlebenschance. Weil schlicht sinnentleert.
    So oder so: sich gemocht fühlen, Anerkennung bekommen, zu einer Gruppe zu gehören ist Seelennahrung, die wir alle auf die ein oder andere Art brauchen, um uns wirklich wohl zu fühlen.
    Ich vermute, dass das SocialMedia-Follower-Phänomen auf diesem Grundbedürfnis fusst.
    Und sich doch deutlich vom Thema Hobby abgrenzt, wenn es auch unmittelbar miteinander verwoben genutzt wird.
    Also weniger ugga ugga, sondern eher mäh, mäh in Zeiten wachsender Isolierung

  • #4

    Gaby (Montag, 15 Januar 2018 19:59)

    Du bist ja mal wieder tiefgründig.
    Aber es ist ganz einfach. Jeder Mensch braucht Anerkennug, Lob, Aufmerksamkeit.
    Das ist Ansporn und Seelenbalsam zugleich. Man braucht es zum Wohlfühlen und Weitermachen. Man möchte es von Freunden, von der Familie, von Kollegen und vom Chef.
    Da du ja im Moment nicht arbeiten gehst, ist vielleicht dasSammeln von Followern ein Ersatz?
    Und in jedem Menschen steckt auch eine gewisse Portion Neid.

  • #5

    Rüdiger (Dienstag, 16 Januar 2018 22:10)

    Irgendwie erinnert mich das an die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll.
    Neben den schon in den Kommentaren der Schwiegermütter Viola und Gaby gemachten Aussagen zur sozialen Komponente des menschlichen Daseins, kommt doch in solchen Gedanken auch noch was anderes, ursprüngliches, allen Lebewesen (auch Pflanzen) innewohnendes zum Ausdruck: Der Selbsterhaltungstrieb. Deshalb ist aus meiner Sicht jedes Lebewesen im tiefsten Innern auch Egoist; so war es, so ist es und so wird es bleiben. Letztlich ist das auch Überlebens notwendig. Selbst wenn Lebewesen gemeinsam im Rudel oder in der Horde oder wie auch immer auf Beutefang gehen, werden sie sich doch gegenseitig vernichten oder auf(fr)essen, wenn es keine Beute mehr gibt. Und richtig: die/der Stärkste überlebt, vorerst... Deshalb hat der eine Bergsteiger auch behauptet, das war kein Winter mehr...
    Bei den Menschen ist so was zwar schon ganz schön verdrängt, aber nicht ausgemerzt, siehe eben Simone Moro oder fast beliebig viele andere Menschen in der einen oder anderen mehr oder weniger ausgeprägten Form.
    Nach meiner Ansicht ist das auch nicht schlimm, eben weil es normal ist.
    Dafür, Egoist zu sein, muss sich niemand schämen. Streng genommen kannst du nichts dagegen tun. Die menschliche Gesellschaft ist noch in der Lage, den extremen, gefährlichen bzw. unnormalen Auswüchsen des Egoismus Einhalt zu gebieten, noch...
    Man kann nur für sich allein entscheiden, was wichtig ist.
    In der o. g. Anekdote war der Fischer mit dem zufrieden und glücklich, was er hatte.
    Und immer dran denken: „Besitz und noch mehr Besitz, leicht verkümmert das Herz dabei und die Gedanken brechen gleich hinter dem Gartenzaun.“ Aus „Gewalt und Zärtlichkeit“ von Horst Bastian.
    Wie geht ein anderer Spruch? „Jede Zeit hat ihre Hexenmeister und Gespenster“ (von Goethe?, weiß ich nicht, finde ich aber Klasse, den Spruch und Goethe).
    Follower sind solche Hexenmeister und Gespenster. Wer weiß, ob es die in der Realität überhaupt gibt, ob die Zahlen überhaupt stimmen. Stichwörter: Fake-News, alternative Fakten, Manipulation, digitale /virtuelle Identitäten, gekaufte User, ...
    Fazit: Ihr macht alles richtig, egal ob viele oder wenige Follower. Macht das, was ihr als richtig und gut für euch haltet. Alles andere ist vergänglich, auch die Follower. Eure Erinnerungen bleiben und nur das ist wichtig.
    Es lohnt sich nach meiner Auffassung nicht, über das Thema weiter nachzudenken.
    Weiterhin viel Glück.