Damir und Ivana

Bosnien - 02. September 2018

 

Nach unserem Frühstück verabschieden wir uns von der netten Familie und begeben uns wieder auf die Straße. Es ist der erste Morgen an dem wir mit langarmigen Oberteilen starten. Ich, als Routenbeauftragte, hatte gestern noch nach möglichen Wegen abseits der Hauptstraße geschaut und Stefan nun vor die Wahl gestellt. Wie sollte es auch anders sein, natürlich entschied sich Stefan für die abenteuerlichere und anstrengendere Nebenstrecke. Es geht eine kurze Weile tüchtig Bergauf aber sofort sind wieder fern von Verkehr und Lärm. Wir arbeiten uns durch ein kleines idyllisches Bergdörfchen voller Obst- und Gemüsegärten und teils eingefallenen und bewachsenen Gebäuden. Vorbei an Wiesen um auf kleinen Pfaden gänzlich die Zivilisation zu verlassen und um die Hauptstraße in einem großen Bogen zu umfahren. 

 

Ein hartes Stück Arbeit

Doch leider entpuppt sich der Weg mal wieder als ziemliche Herausforderung. Schotterpiste steil bergauf, lässt sich leider nicht fahren. Es ist heiß und der Schweiß fließt schon nach den ersten Metern in Strömen. Wir müssen zumindest nicht zusammen einen Esel schieben, aber es dauert so seine Zeit. Stefan hat sich schon länger aus meinem Sichtfeld geschoben und ich bin kurz davor mich einfach auf den Schotter fallen zu lassen. Da taucht hinter der nächsten Kurve endlich wieder eine richtige Straße auf. Wir belohnen uns mit Käse, Kräckern und Pflaumen während die Sonne unser Zelt trocknet! 

Bis nach Uzdol radeln wir bei strahlendem Sonnenschein auch wenn wir es in der Ferne schon wieder grollen hören. Laut Navigation sollen wir einen Shortcut durchs Dorf nehmen. Und laut Stefan geht es 600m nach unten, wird also machbar sein, denken wir. Für einen, auf der Karte gestrichelten Weg, befahren wir anfangs ziemlich guten Asphalt. Doch leider hatte Stefan die Richtungen im Höhenprofil verwechselt. Also geht es es steil bergauf. Wenn es doch nur dabei bleiben würde... Der Weg verliert sich etwas hinter dem nächsten Haus. Stefan schiebt voraus, vorbei am kläffendem Hund und durch eine Horde Schafe und Hühner, die sich lauthals beschweren. Man sieht den Trampelpfad gerade eben noch, also schieben wir weiter. Leider sind wir laut GPS schon an der eigentlich zu fahrenden Biegung vorbei "gefahren". Aber Stefan lässt nicht locker. Er schiebt eisern den Berg hoch. Ich schaffe es nicht mal über den ersten Huckel. Also bleibt mir wohl nichts anderes übrig als zu warten. Er verschwindet wieder aus meinem Sichtfeld und erkundet den Weg zu Fuß. Ich rufe noch entnervt, dass wir nach rechts müssen. Nun stehe ich hier, überlege noch ob ich mich zurück rollen lassen soll aber entscheide mich dafür die Bremsen weiter gedrückt zu halten. Irgendwann kommt Stefan von links oben zurück. Ich frage mich, warum ich wohl nach "rechts" gerufen habe. Links geht's nur zu einer Sackgasse und wir würden im großen Bogen dahin zurück von wo wir uns gerade hier hoch gekämpft haben! Also könnten wir auch gleich umdrehen, denke ich grimmig. Als er bei mir ankommt und meine Frage mit der Frage erwidert, wo wir denn eigentlich her kämen, denke ich, ich höre nicht richtig. Aber da oben rechts sei eine Wiese und dahinter Häuser, da ist sicherlich die Straße, sagt er aufmunternd. Ich schüttele nur den Kopf und dann schieben wir Emil zu zweit hoch. Doch bevor wir jetzt hier irgendwen über irgendwelche weiteren Wiese schieben gehen wir zu Fuß zu den Häusern, schön durch die Pflaumenbäume und siehe da... kein Weg! Grrrrrr. Und das, was der Weg sein könnte.... No way, das tue ich mir echt nicht an! Also alles wieder runter. 

Zurück auf der Dorfstraße geht's leicht bergauf, vorbei an der nächsten hässlichen und neumodischen Kirche die gerammelt voll zu sein scheint, da sogar einige der Herrschaften draußen davor stehen. Und die nächste Biegung eröffnet die nächste Steigung. Uffz, irgendwann kommen wir tatsächlich an der Stelle vorbei, an der wir hätten rauskommen sollen. Wo auch immer diese beiden Wege zusammen kommen... Dieses Ende ist so steil und über Schotter, dass ich heil froh bin, dass wir umgekehrt sind. 

Anmerkung von Stefan: man kann sich doch mal irren. Soooo schlimm war es jetzt ja auch nicht - für mich

 

Wohlverdiente Mittagspause

Na dann können wir ja jetzt auch mal einen Mittagspausen-Platz finden. Unter einem riesigen Baum taucht eine kleine Bank aus Bierkästen und einem Brett auf. Das bietet sich gerade zu hervorragend an. Zum Essen wird Mangels Auswahl improvisiert und trotzdem kann es sich sehen oder besser: essen lassen;) Thunfisch, eine Dose Mexicanmix, eine Tomate und Salz vermischt und dann zwei riesige Brötchen halbiert, ausgehöhlt und unsere Mischung hinein. Jammi. 

Es ziehen Gewitterwolken auf und die ersten Tropfen kommen. Unsere Esel werden an die Schräge unter dem Baum gelehnt und wir muckeln uns unter den Footprint. An unsere Stühle gelehnt, schaffen wir es tatsächlich beide ein Wenig zu schlummern. Die Sonne schafft es pünktlich zum losfahren wieder heraus zu kommen. Etwas steif und eingerostet bewältigen wir die letzten Meter nach oben um uns dann endlich wieder rollen lassen zu können. Sausewind geschwind.

Auch wenn es ein hart erkämpfter und längerer Weg war, freue ich mich jetzt drüber, dass wir mal wieder eine Nebenstrecke genommen haben. Das Gefühl, dass man hart für seinen Weg gearbeitet hat, erfüllt mich zumindest im Nachhinein mit Glücksgefühlen und auch irgendwie mit Stolz. Auch wenn ich ächze, stöhne und schwitze: Wir kommen immer wieder an Orte, an denen wir auf der Hauptstraße einfach so vorbei gefahren wären. Wir machen Bekanntschaften mit Mensch und Landschaft, die wir ansonsten nie gemacht hätten. Und das ist ein unschlagbar guter Grund um auch mal ein paar Höhenmeter und ein paar Schotterpisten mehr unter die Reifen zu nehmen.

Anmerkung von Stefan: oder eben ein paar unnötige Höhenmeter querfeldein zu schieben.  

 

Schinken, Duschen und Geschichten

Es ist kurz vor sechs und ich dränge dazu nach einem passendem Grundstück zu schauen. Eine Stichstraße - kein Erfolg. Doch dann sehen wir eine Familie draußen Ball spielen. Das Grundstück sieht klein aus aber dahinter tut sich eine riesige Wiese auf. Also fragen wir. Der Mann spricht ganz gut Englisch und wir dürfen "Na klar hier im Garten Zelten". Zurück bei den Rädern sind wir unsicher, denn optimal ist das nicht, eng, nah an der Straße etc. Wir überwinden uns nochmal nach der Wiese dahinter zu fragen. Mit dem Ergebnis des Gespräches sind wir wesentlich zufriedener. Der Zugang ist zwar sehr eng aber die Arbeit alles über den Zaun zu schaffen, ist uns der Ausblick, die Weite und der Platz wert. Die Zwillinge der Familie schauen uns noch ein bisschen zu und dann sind wir allein. Wir beginnen zu kochen. Von hinten nähert sich der Hausherr. Seine Frau lässt fragen, ob wir ein bisschen hausgemachten Käse und geräucherten Schinken, Brot und Bier haben wollen? Wie immer können wir da natürlich nicht nein sagen, vor allem nicht bei dem Wort "hausgemacht" (Stefan: oder halt bei "Bier"). Keine 10min später kommen Ivana und Damir (wie wir später erfahren) mit einem Tablett beladen mit Brot, Käse und Unmengen von Schinken und "homemade Pita" und vier Bier zu uns. Wow. Unsere Gastgeber erzählen uns, dass sie vor dem Krieg viele Gäste hatten. Polen, die auf dem Weg an die Küste waren und einfach bei ihnen genächtigt hätten. Zum krönenden Abschluss dieses Tages bieten Sie uns noch an, dass wir nach dem Essen gerne bei Ihnen duschen könnten! Sie gehen jetzt zum Nachbarn, wir sollen unser Essen genießen und einfach kommen und Bescheid geben. Okayyy... Wir sind mal wieder gerührt und geplättet gleichzeitig. Unsere gekochten Nudeln wandern zurück in den Topf und wir schlemmen. Oh mein Gott ist der Schinken zart und lecker. Wir schaffen nicht alles (Nagut, Stefan beherrscht sich auch) und packen den Rest ein. 

Wir suchen unsere Sachen zusammen um das verlockende Angebot der Dusche annehmen zu können. Drinnen schlägt uns erstmal der unangenehme Geruch von Rauch in die Nase. Ich genieße zuerst die angenehme, unerwartete und warme Dusche. Stefan sitzt in der Küche mit einem weiteren Getränk und unterhält sich mit unseren Gastgebern. Ivanas Mutter ist krank, daher wohnen sie aktuell alle hier. Damir ist Englisch Lehrer bei der Armee und somit haben wir mal wieder das Glück ein wenig mehr über dieses Land erfahren zu können. Ohne, dass wir uns wehren können, sind wir morgen zum Frühstück geladen. Wir bekommen noch selbstgemachte Apfel-Teigtaschen und fallen müde in unsere Schlafsäcke. Aber nicht ohne, dass uns Ivana noch mindestens zwei mal anbietet im Haus zu schlafen. 

 

Früüühstück

Wir wachen wieder vom Regen auf, welcher mächtig auf unser Zelt prasselt, aber wir haben ja gut abgespannt. In der Nacht war es noch schlimmer und ein Gewitter war auch zu hören. Regnet es jetzt jede Nacht, fragen wir uns. Aber zum abbauen hat es glücklicherweise wieder aufgehört. Es ist bewölkt und dichter Nebel hängt in den Bäumen und verleiht der Umgebung etwas mystisches. Pünktlich um 07:05 sind wir fertig und treten zum Frühstück an. Spiegeleier, Wurst, Käse, Brot, Marmelade, Nutella, Café, Saft. Einfach alles und zurückhalten ist nicht erlaubt! Also schlemmen wir. Damir klärt uns auf und beantwortet bereitwillig all unsere Fragen. In Bosnien und Herzogowina leben immer noch Serben, Kroaten und Bosnier (Muslime) zusammen. Sie selbst sind Kroaten. Doch vor dem Krieg gab es viel mehr zusammenleben mit den Bosniern und wohl auch sogenannte Mischehen. Aber heute lebe man sehr viel separierter, was die beiden sehr schade finden. Und ja, es gibt immer noch Vorfälle bei denen Menschen durch Minen umkommen. Vor allem wenn jemand zum Holz hacken zu weit in die Wälder geht. Sie selbst und wohl auch die anderen Bewohner wissen wo es gefährlich ist und meiden diese Regionen. Es ist interessant und krass zugleich. Wir sitzen hier morgens um 8 Uhr, wie völlig selbstverständlich beim Frühstück und Damir erzählt uns von Dingen die uns so absolut fern vorkommen. Fern, wie aus einer anderen Zeit, dabei ist vieles davon noch aktuell und eben echt erst ein paar Jahre her. Wir sind mal wieder durch und durch dankbar für diese Einblicke und diese zwei Menschen, die uns einfach so aufnehmen und teilhaben lassen

Dann kommt noch die Pflegehilfskraft für Ivanas Mutter, setzt sich mit an den Tisch und ist ganz entzückt von uns. Hier wird mir erst deutlich wie unnahbar Ivana eigentlich wirkt. Groß schlank, eher männlich gebaut und eher grimmige Gesichtszüge. Dabei ist sie aber absolut gastfreundlich und fürsorglich. Wir dürfen uns eben nicht vom Äußerlichen einnehmen lassen. Heute ist wieder der erste Tag für die Zwillinge im Kindergarten aber nicht die bekommen ein Care-Paket, nein. Ivana schmiert und belegt uns jeweils zwei Hörnchen und packt noch Taschentücher (!), Obst und Kakao-Trinkpäckchen mit ein. Sie müssen lachen, denn sie schniefen und Husten obwohl sie im Haus sind und wir? Schlafen draußen ohne Probleme. Wir verabschieden uns mit dem Versprechen, dass wir das nächste Mal dann mit Auto und Kindern kommen :) Es ist der erste Morgen an dem wir seit Monaten das erste Mal in langer Hose und in unseren Microlight-Jacken losradeln. 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Rüdiger Miertschink (Samstag, 09 Februar 2019 16:51)

    Ja, die meisten Menschen in Europa haben schon wieder vergessen, dass in Ex-Jugoslawien vor noch nicht zu langer Zeit richtig Krieg war, also direkt vor unserer Haustür. Mit Massenmord und so. Auch haben die Menschen vergessen, dass Griechenland und Spanien bis in die jüngere Vergangenheit hinein Militär-Diktaturen waren. Zurzeit ist es auf der Welt vergleichsweise friedlich. Aber wer genau hinsieht, erkennt die dunklen Wolken am Horizont, siehe Kündigung des Vertrages über die Mittelstreckenraketen, lautstarke Forderung zur Aufrüstung der Bundeswehr... Das nur nebenbei.
    Ja, Frühstück wie im Hotel, vielleicht sogar besser. Die Gastfreundschaft, die ihr überall erlebt habt, ist schon super toll.
    Und manchmal muss man auch vom Weg abweichen, um weiterzukommen... Letztlich seid ihr ja an einem schönen Ort angekommen und nur das zählt.